Das Japanische Schwert von Markus Sesko

Das Schwert ist eines der repräsentativsten Objekte und wichtigsten Kulturgegenstände Japans. Die „Geburtsstunde“ jenes Schwertes das wir heute gemeinhin als „japanisches Schwert“ oder „nihontō“ bezeichnen – also einer einschneidigen, gekrümmten, beidhändig geführten Klinge mit rautenförmigem Querschnitt – ist schwer festzulegen. Bis etwa Mitte der Heian-Zeit, sprich dem 9. Jh. n. Chr., trug man ungekrümmte Klingen (die sog. „chokutō“), die ihr Vorbild in Schwertern der chinesischen Táng-Dynastie (618-907) hatten, durch Wissensaustausch aber auch bald in Japan selbst angefertigt wurden. Als sich die damalige Yamato-Regierung den nördlichsten Teil der Hauptinsel Honshû einverleibte, brachte man kürzere und merklich breitere Klingen (die sog. „warabide-tō“) zurück, die ihren Ursprung in selbständig aus früheren Einwanderungsschüben entwickelten Schwertern hatten. Zurück im japanischen Kerngebiet verschmolzen diese beiden Einflüsse mit der zunehmenden Kriegsführung zu Pferd zu einer Schwertform, die mehr auf den „schneidenden Hieb“ denn auf den schlichten Hieb oder Stich ausgerichtet war. Für eine Schnittbewegung – bestehend aus dem Hieb und dem simultanen an den Körper ziehen des Schwertes – ist nämlich eine gekrümmte Klingenform (das sog. „wantō“) deutlich von Vorteil.

Bild 1:  Verschmelzung des warabide-tō (oben) mit festlandbasierten Klingen (Mitte) zum frühen wantō (unten).

Bild 1: Verschmelzung des warabide-tō (oben) mit festlandbasierten Klingen (Mitte) zum frühen wantō (unten).

Für die Verwendung zu Pferde mussten die Klingen natürlich länger werden, und vom funktionellen Gesichtspunkt her ist so die besonders an der Klingenwurzel und am Griff ausgeprägte Krümmung der frühen wantō nachvollziehbar, die die Ziehbewegung einer solch langen Klinge unterstützte. Um eine bessere Schneidwirkung zu erzielen, verschob man den Grat (den „shinogi“) in Richtung Klingenrücken, um eine breitere Schnittfläche zu bekommen. Dies hatte zur Folge, dass der Klingenquerschnitt nun am shinogi aus Stabilitätsgrunden breiter werden musste, d.h. aus dem nahezu rechteckigen Querschnitt mit Schneidkante der bis dato verwendeten chokutō wurde der klassische rautenförmige Querschnitt. Nebenbei erwähnt, es existieren auch ältere Klingen mit dem Ansatz einer Krümmung (dem sog. „sori“), doch diese geht auf einen Nebeneffekt der Härtung der Schneidkante zurück, da sich die schneller aushärtenden Bereiche der dünnen Schneide stärker ausdehen als der dickere Klingenrücken. Das heisst man kann hier noch nicht von einem bewußt angebrachten sori sprechen. Anhand von erhaltenen Schwertern mit Übergangsformen und historischen Aufzeichnungen und Darstellungen können wir aber sagen, dass wantō ab der mittleren Heian-Zeit aufkamen, und das die Entwicklung zum nihontō etwa gegen Ende der Heian-Zeit abgeschlossen war. Was die Veränderungen der Klingen von der späten Heian- bis zur frühen Kamakura-Zeit anbelangt, so stellen wir fest, dass während der zweiten Hälfte der Heian-Zeit auch eine Verschiebung in Richtung indigener Kunst und eigenem Handwerk stattgefunden hatte und man sich allmählich vom Einfluss festländischer Kultur löste.

Bild 2: Verschmelzung des warabide-tō (oben) mit festlandbasierten Klingen (Mitte) zum frühen wantō (unten).

Bild 2: Verschmelzung des warabide-tō (oben) mit festlandbasierten Klingen (Mitte) zum frühen wantō (unten).

Mit dem Übergang zur Kamakura-Zeit wurden die Klingen eine Spur breiter und massiver, behielten aber dennoch die Eleganz heianzeitlicher Arbeiten. Entsprechend der berittenen Kriegsführung hochrankiger bushi betrug die Klingenlänge nun etwa 82 bis 85 cm. Die Schwerter waren stark gekrümmt und hatten eine bauchige Schneidfläche, da vornehmlich gegen Rüstungen bestehend aus überlappenden Eisenlamellen vorgegangen werden musste. Mit den Mongoleninvasionen der Jahre 1274 und 1281 sahen sich die japanischen Krieger mit einer bis dato unbekannten Problematik konfrontiert, und zwar trugen die festländischen Angreifer gefütterte oder ungefütterte Lederrüstungen. Um effektiver gegen diese Art von Rüstungen vorgehen zu können wurden die Klingen schmäler und die Schneidfläche größer und flacher.

Bild 3: Von der Kamakura- (oben) zur Nanbokuchō-Form (unten).

Bild 3: Von der Kamakura- (oben) zur Nanbokuchō-Form (unten).

Recht anschaulich lassen sich auch die Unterschiede der alteingesessenen Schmiedetraditionen (der sog. „gokaden“) verfolgen. Die ältesten Traditionen, jene Yamatos und Yamashiros, bauen auf einer linearen Härtung (dem sog. „suguha“) entlang der Schneidkante auf, die noch in den Frühschwertern verwurzelt ist. Mit der technischen Weiterentwicklung der Bizen-Tradition etwa ab Beginn der Kamakura-Zeit versuchte man das Problem einer stabilen aber dennoch schnitthaltigen Klinge dadurch zu lösen, dass man die Härtung in regelmäßigen Abstand unterbrach, damit sich ein etwaiger durch Auftreffen auf ein Ziel entstehender Riss nicht horizontal ausbreitet. Dies resultierte im sog. „chōji-hamon“. Die etwas später etablierte Sōshū-Tradition versuchte nun, die maximale Effektivität einer Schwertklinge durch Verschmiedung Stähle verschiedener Härte – also unterschiedlich hohem Kohlenstoffgehalts – zu erreichen, was sich in einer lebhaften Schmiedestruktur widerspiegelt.
Durch den Beginn der kriegerischen Sengoku-Periode in der zweiten Hälfte des 15. Jh. erlebte Japan eine noch nie dagewesene Aufrüstung, was sich natürlich auch in der Schwertproduktion niederschlug. Mit Abstand wurden in keiner anderen Epoche so viele Klingen geschmiedet wie zu jener Zeit, wobei ein sehr großer Teil sog. „kazuuchi-mono“, also in Massen in Großmanufakturen hergestellte Klingen waren, bei denen mehr Wert auf die Praktabilität als auf ein schönes Erscheinungsbild gelegt wurde. Neben Bizen rückte Mino als großes neues Schmiedezentrum in den Fokus, wo sich schon bald die fünfte und jüngste der genannten Schmiedetraditionen entwickelte. Die praktisch ausgelegten, sehr scharfen Mino-Klingen genossen unter den bushi – die zu jener Zeit quasi tagtäglich mit Kämpfen und kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert waren – einen exzellenten Ruf. Und so wurden Schmiede aus Mino in die lokalen Arsenale der daimyō abgeworben. Durch den durchgehend großen Bedarf an Schwertern mussten sich zwangsläufig auch die Methoden der Stahlerzeugung ändern, was dazu führte, dass der Stahl sengokuzeitlicher Klingen über die meisten Schulen hinweg recht uniform auftritt. Es mussten auch teilweise alte, zeitaufwendige und handwerklich anspruchsvolle Schmiedemethoden wie hon-sanmai-awase oder shihō-zume zugunsten den schnellerern und materialsparenderen makuri-gitae oder kōbuse aufgegeben werden.

Bild 4:: Klinge aus der etwas späteren Muromachi-Zeit.

Bild 4:: Klinge aus der etwas späteren Muromachi-Zeit.

Nach der von Tokugawa Ieyasu gewonnenen Schlacht von Sekigahara trat auch das japanische Schwert in ein neues Zeitalter ein und das sog. „shintō“, das wörtl. „neue Schwert“ waren geboren. Mußten die früheren kotō-Schmiede noch auf lokal produzierte Stähle zurückgreifen, war das Rohmaterial Stahl nun aufgrund des durch die Tokugawa-Regierung forcierten Straßenbaus freier verfügbar. Das bedeutet, dass das Erscheinungsbild des Stahls einer Klinge kaum noch Rückschlüsse auf lokale Charakteristika zuläßt. Kann man einige kotō-Klingen lediglich aufgrund ihres Stahles einer gewissen Region zuschreiben, ist dies im shintō kaum bzw. nur in Kombination mit weiteren Merkmalen möglich. Bei den Schmieden und ihren Schulen der Edo-Zeit machte sich die Urbanisierung sehr stark bemerkbar. Es gab kaum einen herausragenden Meister, der nicht in Edo, Kyōto, Ōsaka oder einem der Lehenszentren tätig war. Durch die reicher werdende Kaufmannsschicht erweiterte sich ab der mittleren Edo-Zeit der Kundenkreis für die Schmiede, da diese sich – um ihren neuen Reichtum zur Schau stellen zu können – flamboyante Klingen und Montierungen von den Top-Meistern ihrer Zeit anfertigen ließen. Da sich die Klingen außer in Duellen kaum mehr beweisen konnten, führte man die Praxis der Schnittests (der sog. „tameshigiri“) ein, wobei verschiedene standardisierte Hiebe ausgeführt wurden, teilweise auch an zwei oder drei übereinandergestapelten Körpern. Ein Schmied dessen Klingen sehr gut in solchen tameshigiri abschnitten, konnte für seine Arbeiten natürlich einen höheren Preis veranschlagen.

Bild 5: Flamboyante shintō-Klinge.

Bild 5: Flamboyante shintō-Klinge.

Doch mit der stark sinkenden Nachfrage nach Schwertern während der Edo-Zeit sank kontinuierlich auch die Qualität der Klingen. Es sollte bis zum Auftreten des großen Meisters Suishinshi Masahide (1750-1825) dauern, bis tatsächlich ein Ruck in Sachen Quantität und Qualität zu bemerken war. Masahide versuchte mehr oder weniger im Alleingang, die alten Schmiedetraditionen der Heian- und Kamakura-Zeit wiederzubeleben. Seine veröffentlichten Studien zum Thema Schwert und Schmiedetechniken bescherten wiederum der Schwertliteratur an sich einen Auftrieb. Diese Initiative Masahides Masahides nehmen wir heute als Wendepunkt zum sog. „shinshintō“, dem wörtl. „ganz neuen Schwert“.
Als die Tokugawa-Regierung im Jahre 1867 gestürzt und die neue Regierung unter Kaiser Meiji eingerichtet wurde, schaffte man sukzessive das Lehenssystem und den Stand der samurai ab. Um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten versuchte man das Tragen von Schwertern zu verbieten, was sich aber als nicht so einfach erweisen sollte, da viele davon ausgingen, dass das Aufgeben das Schwert zu tragen die Seele und die Moral der bushi für immer auslöschen, und so im Umkerhschluss das Kaiserreich zwangsläufig schwächen würde. 1870 erließ man dann das Schwerttrageverbot für das „einfache Volk“ und ein Jahr später wurde den samurai nahegelegt, freiwillig auf das Tragen der Schwerter in der Öffentlichkeit zu versichten. Das finale Schwerttrageverbot für alle Nicht-Angehörigen der kaiserlichen Armee und Polizei wurde dann im Jahre 1876 erlassen. Doch Kaiser Meiji war selbst ein Schwertliebhaber, der bei Zeiten dafür gesorgt hatte, dass diese Kunstform nicht verlorengeht. Im Jahre 1871 verabschiedete das Kabinett der Meiji-Regierung das „Dekret zur Erhaltung alter Gegenstände“ (koki-kyūbutsu-hozon-kata), bei dem zuerst alle alten Gegenstände der Tempel und Schreine des kinai-Zentralgebiets erfaßt wurden. Von Mai bis Oktober 1872 erfolgte Japans erste offizielle Untersuchung seiner Kulturgüter (den sog. „bunkazai“). 1888 gründete das Kaiserliche Haus- und Hofamt die „Behörde für die vorläufige Untersuchung der Kostbarkeiten des ganzen Landes“. Einige Zeit später, im Jahre 1897, erfolgte ein Gesetz zum Schutze alter Schreine und Tempel, das nun neben den darin aufgebewahrten Gegenständen auch die Gebäude selbst schützte. Das Nachfolgegesetz, das im Jahre 1929 erlassene „kokuhō-hozon-hō“ („Gesetz zum Schutze der Nationalschätze“), ermöglichte es erstmals, dass auch Gegenstände zu Nationalschätzen deklariert werden, die nicht im Besitz von Tempeln oder Schreinen waren. Und 1933 folgte eine weiteres Gesetz, nämlich das Gesetz zur Erhaltung wichtiger Kunstgegenstände, den sog. „jūyō-bijutsuhin“. Das moderne, heute gültige Denkmalschutzgesetz (Bunkazai-hogo-hō) wurde 1950 verabschiedet. In diesem Denkmalschutzgesetz wird zum ersten Mal zwischen materiellen (yūkei-bunkazai) und geistigen Kulturschätzen (mukei-bunkazai), und auch der „Wichtigkeit“ der zu schützenden Objekte unterschieden. Seither wurden etwa 880 Schwerter als jūyō-bunkazai und 122 als kokuhō eingestuft.

Markus Sesko

Der Autor:

Markus Sesko ist seit 2009 als professioneller Übersetzer im Bereich japanische Kunst und japanische Antiquitäten mit Spezialgebiet Schwerter, Schwertzierrate und Rüstungen tätig. Seit 2006 ist er auch in dieser Funktion für die European Branch der NBTHK – der Gesellschaft zur Erhaltung des japanischen Kunst-Schwertes (www.nbthk.net) – tätig. Ein Hauptanliegen des Autors ist es, sukzessive japanisches Grundlagen- und weiterführendes Fachwissen dem interessierten deutsch- und englischsprachigen Publikum zugängig zu machen. In diesem Sinne sind von Markus Sesko bis dato um die 15 (größtenteils zweisprachige) Publikationen erschienen und zahlreiche individuelle Übersetzungen von Texten, Büchern und Ausstellungskatalogen vorgenommen worden.

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